Gerade hat Anne "Besonderheiten der barocken Spielweise"im Forum gepostet - ein sehr schönes und interessantes Interview mit Maria João Pires – was mich bewegt hat, diese lange Antwort zu schreiben. Es kam mir ein bisschen wie ein Blog vor. Also poste ich sie auch hier:
Zuhören mit offenem Geist ist für mich die Quelle aller Wahrheit – "the source of truth". Aber um zuzuhören, braucht man erst Stille oder “silence" – in sich selbst und natürlich auch physische Stille. Entweder man kreiert sie, oder man erkennt sie.
Was heißt das konkret für uns in der Barockmusik?
Atmen - Die Musik atmet – also wichtig sind die Momente zwischen den Noten, zwischen den Phrasen. Das kommt viel natürlicher, wenn die Töne einen "Shape" haben. Das heißt "messa di voce". Messa di voce ist kein festgelegtes Shape, sondern irgendeine interessante Shape. Wenn man daran denkt, jedem Ton eine Shape zu geben, muss man sich so konzentrieren, dass kein anderer Gedanke möglich ist. Und hier nähern wir uns einer Art von Meditation.
Akustik – es ist wichtig, dass wir auch manchmal in einer guten Akustik üben und spielen. Zum Beispiel in einer schönen Kirche oder einem großen Saal – in den Orten, wo in der Barockzeit auch gespielt wurde. Natürlich kann und muss man beim Üben zu Hause sehr detailliert arbeiten – das ist die Grundlage, aber wir sollten dabei die größere Sicht nicht verlieren. Die Akustik, in der wir spielen, ist Teil unseres Instruments, und wir müssen lernen, wie man den Nachklang benutzt, um die Musik atmen zu lassen, damit auch das Publikum die musikalischen Effekte mitbekommt.
Ensemble – da wir in der Barockmusik ohne Dirigent spielen und fast immer mit mindestens einem Bassinstrument, sind wir vor allem Kammermusiker – nicht Solisten. Tatsächlich sind wir aufeinander angewiesen. Das heißt, unsere Fähigkeiten, die musikalischen Impulse von anderen zu spüren und darauf blitzschnell zu reagieren (eigentlich automatisch) sind auf Spitzenniveau entwickelt.
Zum Beispiel: Wie können wir „zusammen“ anfangen ohne Dirigent? Meiner Erfahrung nach, wenn alle die Stille – diesen „moment of silence“ – vor dem ersten Ton gemeinsam spüren, dann fangen sie ohne Zweifel zusammen an. Und genauso bei der Phrasierung – wenn alle wissen, wo wir atmen möchten und nach diesem Moment zwischen den Phrasen suchen, wird automatisch kommuniziert – die Musiker schauen automatisch herum und hören in diesem Moment sehr genau zu. Das ist für mich die Kommunikation ohne Worte – eine viel effektivere Art der Kommunikation für die Musik. Am besten wird bei der Probe gar nicht gesprochen!
Zusammenspiel: Für mich ist das Zusammenspiel – in Musik und im Leben – der Kern der Sache. Tatsächlich, wenn man Musik, aber vor allem Barockmusik wirklich kennenlernen möchte, dann braucht man andere Menschen. So wurde die Musik geschrieben – um Worte und Affekte auszudrücken. Es geht um Menschen – ihre Worte und Gefühle – und Menschen atmen, sind manchmal unregelmäßig, und sind keine Maschinen.
Menschen haben die Fähigkeit, die Stille zu spüren, zu genießen, und dann als Grundlage zu benutzen, woraus Musik entstehen kann. Das gemeinsam zu machen, ist der Sinn der Kunst. So ermöglicht es uns die Musik, miteinander auf eine besondere, meditative Art zu kommunizieren und uns alle auf diese Weise der Magie der Musik, und vielleicht sogar unserem besten Selbst anzunähern.
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